Mit regenerativer Therapie die neurogene Harninkontinenz bekämpfen
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Jeder zweite oder dritte Mensch, der von bestimmten neurologischen Erkrankungen betroffen ist, kämpft auch mit einer neurogenen Störung von Harnblase und Blasenschließmuskel. Das führt häufig zu neurogener Inkontinenz. Verhaltenstherapie, Medikamente und Botox helfen in der Behandlung von überaktiver Blase. Bei der neurogenen Schließmuskelschwäche sind die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Große Hoffnung wird ins Tissue Engineering gesetzt, um den geschwächten Schließmuskel zu kräftigen. Über diese und weitere Möglichkeiten zur Behandlung von Inkontinenz tauschen sich vom 7. bis 10. September Urologen und weitere Experten im Austria Center Vienna aus.
„Jeder 5. Mensch ist im Laufe seines Lebens von Blasenschwäche betroffen. Menschen, die bestimmte neurologische Erkrankung haben, haben ein mindestens doppelt so hohes Risiko, auch an Inkontinenz zu leiden,“ so Univ.- Prof. Dr. Helmut Madersbacher, Mitbegründer und langjähriger Leiter der Neuro-Urologie am Landeskrankenhaus – Medizin-Universität Innsbruck sowie Meeting Chairman beim heurigen Inkontinenzkongress der International Continence Society. „Unsere Vision ist, dass wir durch neue innovative Verfahren zukünftig nicht nur die Symptome behandeln, sondern auch gute Schritte in Richtung Regeneration machen können und damit zukünftig bei bestimmten neurologischen Erkrankungen die Blasenfunktion zumindest teilweise wieder herstellen zu können“, betont Madersbacher.
Die Zukunft: Innovative Verfahren zur Regeneration
„Die neurogene Harninkontinenz – so wird die durch neurologische Erkrankungen verursachte Inkontinenz genannt – ist häufig dadurch verursacht, dass die neurologische Erkrankung die Harnblasensteuerung beeinträchtigt. Das passiert entweder durch Krankheitsprozesse im Gehirn oder durch Läsion jener Nerven, die vom Gehirn über das Rückenmark in die Peripherie zur Blase laufen. Abhängig von der Art der neurologischen Erkrankung, vom Ausmaß und dem Ort der Läsion können so Harnblase und Blasenschließmuskel entweder überaktiv oder unteraktiv werden und damit über verschiedene Wege zur Inkontinenz führen“, erklärt Madersbacher.
Ist die Blasenwand bei einer überaktiven Blase im späteren Stadium starr und unelastisch geworden, kann das zu einem gefährlichen hohen Blasendruck führen. In dieser Situation kann das Tissue Engineering eingesetzt werden. „Darunter verstehen wir – im Sinne einer personalisierten Medizin – die künstliche Herstellung biologischer Gewebe durch die gezielte Kultivierung von Zellen. Mit dieser Technologie können wir heute einen Teil der starren Blasenwand durch ein Gewebsimplantat ersetzen und können so den gefährlichen Blasendruck absenken“, betont der Neuro-Urologe. Bisher wurden dafür isolierte Dünndarmsegmente, so genannte Dünndarm-Patches, verwendet. Sie haben eine Reihe von Nachteilen, insbesondere den, dass der isolierte Dünndarm weiterhin Schleim produziert. Das ist beim Tissue Engineering nicht der Fall. Die ersten klinischen Erfahrungen im Tissue Engineering sind ermutigend.
„Bei der neurogenen Schließmuskelschwäche, gegen die wir kein Medikament haben, gibt es mit dem implantierbaren, aus Silikon gefertigten, künstlichen Schließmuskel eine gute operative Alternative. Da das Implantat jedoch alle 10 Jahre gewechselt werden muss, wird auch hier an Verbesserungen geforscht – und zwar mithilfe von Stammzellen. Theoretisch könnten Stammzellen auch einen schwachen Blasenmuskel verbessern,“ so Madersbacher über die Zukunft der Neuro-Urologie.
Überaktive Blase: Behandlung durch Verhaltenstherapie, Medikamente und Botox
Bei Alzheimer-, Demenz- und Parkinsonpatienten zeigt sich die neurogene Inkontinenz häufig durch eine überaktive Blase. „Führt man sich vor Augen, dass in Österreich an die 80.000 Menschen von der Alzheimer Krankheit, rund 100.000 Personen von anderen Demenzformen und an die 20.000 Menschen von Morbus Parkinson betroffen sind, sieht man, dass die Anzahl der potentiell Betroffenen sehr groß ist“, betont Madersbacher. Bei der überaktiven Blase werden mit gezielter Verhaltenstherapie durch Toilettentraining und Blasenprotokoll sowie Medikamenten, die in die Muskelkontraktion der Blase eingreifen können, bereits seit längerem gute Behandlungserfolge erzielt. Langfristig helfen hier auch Botox-Injektionen, die in die Blasenwand gespritzt werden und so den Blasenmuskel zwischen 6 bis 12 Monaten ruhig stellt.
Inkontinenz als Indikator für neurologische Erkrankung
Bei einigen neurologischen Erkrankungen ist die Blasenstörung auch ein wichtiges Symptom, die zur Diagnose der Grunderkrankung führen kann. „5 Prozent der Menschen, die an Multiple Sklerose erkranken, haben vorauftretend Blasenprobleme. Dieses Symptom führt dann zur weiteren medizinischen Abklärung und schließlich zur Ursache. Es gibt auch Patienten, die auf Parkinson erstdiagnostiziert wurden, bei denen aber gleichzeitig Blasensymptome auftreten. Das ist bei einem klassischen Parkison im Allgemeinen nicht der Fall und daher ein wichtiger Hinweis auf einen “atypischen“ Parkinson“, erklärt Madersbacher. Daher ist das frühe Aufsuchen eines Spezialisten sowie eine gute Zusammenarbeit von Neurologen und Urologen essenziell.
Über die International Continence Society
Die International Continence Society setzt sich mit dem jährlichen Kongress, der heuer vom 7. bis 10. September im Austria Center Vienna stattfindet, sowie ihren ICS Journalen für die weltweite multidisziplinäre Kontinenzforschung und -ausbildung ein. Eine wichtige nationale Anlaufstelle für Betroffene und Angehörige ist die medizinische Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ).
Über die IAKW-AG
Die IAKW-AG (Internationales Amtssitz- und Konferenzzentrum Wien, Aktiengesellschaft ist verantwortlich für die Erhaltung des Vienna International Centre (VIC) und den Betrieb des Austria Center Vienna. Das Austria Center Vienna ist mit 19 Sälen, 180 Meetingräumen sowie rund 26.000 m2 Ausstellungsfläche Österreichs größtes Kongresszentrum und gehört zu den Top-Playern im internationalen Kongresswesen. www.acv.at